Sehr geehrter Herr Jäger, die GEFAHRGUTJÄGER GmbH wurde von Ihnen mit dem Ziel gegründet, umweltrechtliche Vorgaben umzusetzen. Was heißt das, welche Leistungen bieten Sie und Ihr Team an?
Wir beraten zu drei großen Themen: Gefahrgutrecht, Abfall- und Gefahrstoffrecht. Ergänzend kommt der Bereich der Arbeitssicherheit hinzu, in den Themen wie Brandschutz, Imissionsschutz, Störfall- und Genehmigungsrecht einfließen.
Auf Basis unserer Beratungsleistungen bieten wir Schulungen an. Wir bilden Gefahrgutbeauftragte für die verschiedenen Verkehrsträger Straße, Schiene und See aus. Wir schulen Gefahrgutfahrer nach ADR, führen innerbetriebliche Ausbildungen durch und bieten zusätzliche Module, beispielsweise zur Entsorgung von Lithium-Batterien, an. Weiterhin qualifizieren wir Abfallbeauftragte und Entsorgungsfachbetriebeverantwortliche. Im Schulungsbereich der Gefahrstoffe ist die TRGS 520 unser Steckenpferd. An der Erstellung der ersten Technischen Regel mit der Nummer 520 war ich vor 30 Jahren bereits beteiligt.
Auch in Themenbereichen wie Abbruch, Sanierung und Instandhaltung von Asbest-Bauten oder mit alter Mineralwolle, Gefährdungsbeurteilung und Explosionsschutz schulen wir Fachkräfte.
An Wertstoffhöfen und Sammelstellen fehlen zunehmend Fachkräfte, die mit dem Umgang gefährlicher Abfälle vertraut sind. Sie haben eine Qualifizierungsmaßnahme erarbeitet, die Abhilfe schaffen soll. Warum ist das wichtig?
Qualifizierungsmaßnahmen sind wichtig, weil der Fachkräftemangel gerade auch die Entsorgungswirtschaft betrifft. Die Betriebshöfe hatten früher die Möglichkeit, aus einem relativ großen Portfolio von chemisch ausbildeten Fachkräften das Personal zu stellen. Die Kenntnisse nehmen immer mehr ab und es werden jetzt schon in vielen Betrieben Personen zur Annahme von Sonderabfällen eingesetzt, die nicht über die entsprechenden Befähigungen verfügen. Ich habe es selbst als Chemiker erlebt, wie wichtig es ist, das Wissen vor Ort zu haben und insofern war es mir ein Anliegen, dass genau dieses Wissen dort platziert wird.
Nach TRGS 520 muss jede Schadstoffsammelstelle mit mindestens einer Fachkraft sowie ausreichendem Fach- und Hilfspersonal besetzt sein. Dieses Personal benötigt einen Nachweis ihrer Fachkunde. Dazu bieten wir einen Zertifikatslehrgang an. Die Idee für diesen Lehrgang hatte ich bereits vor Jahren. Vor einiger Zeit kam zu diesem Thema ein kommunales Unternehmen auf uns zu und daraufhin wurde unsere Maßnahme geboren, die wir vor vier Jahren durch die Industrie- und Handelskammer haben bestätigen lassen.
Zur Person: Bernhard Jäger
- ausgebildeter Chemiker
- Tätigkeit in privaten Entsorgungsunternehmen bei der Betreuung von kommunalen Unternehmen, im Stoffstrommanagement und der analytischen Bewertung bei Altlastsanierungen
- seit Ende der 80er Jahre in (verbandsgestützten) Arbeitskreisen und Ausschüssen aktiv
- Mitwirkung an der Entwicklung des ersten TRGS-520-Seminars und des Seminars für Entsorgungsfachbetriebe
- Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der GEFAHRGUTJÄGER GmbH
- Gutachter sowie Gefahrgutbeauftragter sowie Ausbilder für alle Verkehrsträger
Wie ist der Zertifikatslehrgang gemäß TRGS 520 genau aufgebaut?
Der Lehrgang erstreckt sich über 12 Wochen, in die mehrere Lehrkräfte involviert sind. Eine Besonderheit sind die von Tutoren begleiteten Selbstlernphasen. Das heißt: Zwei Drittel des Tages bestehen aus Unterricht, ein Drittel wird mit den Lehrkräften nachgearbeitet und für Gruppenarbeiten genutzt. Insgesamt umfasst der Lehrgang 614 Unterrichtseinheiten. Am Ende stehen Lernerfolgskontrollen, die von der IHK überwacht werden. Der gesamte Prozess, Lehrgangsinhalte und Prüfungen werden zusätzlich extern durch eine Professur von der Fachhochschule geprüft.
Wer hat die TRGS 520 erarbeitet, was wird darin geregelt und gilt das Regelwerk bundesweit?
TRGS steht für „Technische Regeln für Gefahrstoffe“. Sie werden vom Ausschuss für Gefahrstoffe erarbeitet und stetig weiterentwickelt. Dieser ist im Bundesamt für Arbeit und Soziales angesiedelt, wo alle Bundesländer vertreten sind. Die Bekanntmachung erfolgt durch ein sogenanntes gemeinsames Ministerialblatt. Die TRGS sind also bundesweit gültig.
Die TRGS 520 gilt für die Errichtung und den Betrieb von stationären und mobilen Sammelstellen und von Zwischenlagern für gefährliche Abfälle, die aus privaten Haushalten, gewerblichen oder sonstigen wirtschaftlichen Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen stammen und in haushaltsüblichen Mengen anfallen. Diese TRGS hat einen lange Entstehungsgeschichte mit Beginn in den frühen 80er Jahren. 1993 wurde sie erstmals veröffentlicht, 1999 und 2012 dann überarbeitet.
Nach TRGS 520 müssen Fachkräfte über eine chemiespezifische Fachausbildung (z. B. Chemielaborant, chemisch-technischer Assistent, Chemiemeister, Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft) verfügen und durch einschlägige Erfahrung und fachliche Weiterbildung qualifiziert sein. Inwieweit sind Abweichungen von dieser Vorgabe überhaupt möglich?
Einleitend in der TRGS steht: „Wählt der Arbeitgeber eine andere Lösung, muss er damit mindestens die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz für die Beschäftigten erreichen.“ Dieses Schutzziel muss er belegen können und das schaffen wir über die Industrie und Handelskammer, d. h. damit ist die Qualifizierung über unseren Lehrgang rechtens.
Schauen wir uns einmal die Ausbildung von Fachkräften für Kreislauf- und Abfallwirtschaft und chemisch-technischen Assistenten (CTAs) an: Die Fachkraft Abfallwirtschaft wird mit einem hohen Anteil an Abfallwissen, aber mit einem geringen Anteil an Chemiewissen ausgestattet – dennoch wird sie in der TRGS 520 als ausreichend erachtet. Bei CTAs ist es andersherum: Diese erlangen wenig Abfall-, dafür sehr viel Chemiewissen. Hier setzt unser Lehrgang an: Wir haben die Lehrpläne erweitert, damit Abfallwissen und ein tieferes naturwissenschaftliches Verständnis in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.
Und wir haben Themen wie Toxikologie, Reaktionsweisen von Abfällen und Radioaktivität hinzugenommen. Letzteres lernt weder ein CTA noch eine Fachkraft für Abfallwirtschaft. An den Sammelstellen kommt aber des Öfteren radioaktives Material an, z. B. Fliesen und Porzellan.
Es ist uns ein besonderes Anliegen, die mit den Stoffen verbundenen Gefahren aufzuzeigen. Nur wenn die Fachkräfte die Gefahren kennen, gehen sie sensibel damit um. Denn sie wissen genau, welche Konsequenzen eine falsche Handhabung nach sich ziehen könnte.
In einer Google-Rezension ist über Sie zu lesen: „Herr Jäger ist ein wandelndes Lexikon.“ Wie gelingt es Ihnen und Ihren über 20 Mitarbeitenden, das Wissen in diesen komplexen Rechtsgebieten – Gefahrgutrecht, Abfallrecht, Chemikalienrecht, Strahlenschutz, Arbeitssicherheit – aktuell zu halten?
Ich lese viele Fachzeitschriften, ich interagiere viel, auch in den Fachkreisen. Und ich habe den Vorteil genossen, über drei Jahrzehnte in der Entsorgungswirtschaft tätig zu sein. Dadurch kenne ich die Historie von Gesetzen, Verordnungen und Technischen Regeln.
Zum Fachkräftemangel, den Sie eingangs angesprochen haben: Wie sind Deutschlands Wertstoffhöfe personell und fachlich aufgestellt?
Derzeit sind etwa 8.000 Fachkräfte in Deutschland in diesem Bereich im Einsatz. Davon verfügen rund zwei Drittel über eine adäquate Ausbildung – eine ganze Menge. Aber: Der demografische Wandel ist in vollem Gange. Das Durchschnittsalter des Personals an den Sammelstellen liegt bei ungefähr 50 Jahren. Hinzu kommt: Wer heute eine Ausbildung zur Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft macht, arbeitet meist nur einen bestimmte Zeit an der Sammelstelle. Danach wollen viele ihren Meister machen oder in die Disposition gehen. An einem Bringhof 30 Jahre zu arbeiten – das machen die wenigsten.
Warum braucht es spezielles Wissen über Gefahrstoffe und gefährliche Abfälle an Wertstoffhöfen?
Eine eigene Erhebung hat ergeben: 22 % der angelieferten Abfälle werden ohne Angabe zum Inhalt von Privathaushalten abgegeben. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Gefahrstoffe kommen selten in ihren Originalverpackungen, sondern zum Teil in Marmeladengläsern oder Saftflaschen an den Recyclinghöfen an. Oft sind die Abfälle auch nicht oder nur rudimentär beschriftet. Vom Anlieferer wird alles zusammengeworfen und muss dann von einer Fachkraft mit der richtigen PSA getrennt werden. Weil es vor Ort kein Analyselabor gibt, muss dies mit Fachwissen und Erfahrung erfolgen.
Die Fachkräfte müssen anhand der Konsistenz, am Verhalten, an der Art der Korrosion, an der Art des Ausbleichens und weiteren Indizien eine Klassifizierung vornehmen. Durch Hilfsmittel wie separate Verpackungen und Bindemittel lassen sich die jeweiligen Gesundheits- und Umweltrisiken auf ein Minimum reduzieren. So kann dann ein Recycling oder eine sichere Beseitigung auf den Weg gebracht werden.
Sie müssen mit Schnelltests umgehen und diese interpretieren können, Reaktionspotenziale und galvanische Prozesse kennen usw. Sie müssen lateinische Fachbegriffe verstehen, oft auch Etiketten aus dem Ausland entziffern können. Und noch vieles mehr.
Noch in den 80er Jahren, wo dieses Wissen noch nicht so verbreitet war, gab es tödliche Unfälle. Fässer explodierten, es kam zu Bränden… So ist dieser Rechtsbereich entstanden.
Wie wichtig ist die korrekte Klassifizierung im Hinblick auf spätere Verwertung oder Beseitigung?
Enorm wichtig. Die Anlagen, die die Abfälle übernehmen, führen größere Mengen zusammen und die Mitarbeitenden dort sollen keinen Gefahren (wie der Entwicklung von giftigen Gasen) ausgesetzt sein. Deshalb muss die Klassifizierung an der Sammelstelle von Anfang an sitzen. Aus diesem Grund sind auch Entsorgungsunternehmen in den Arbeitsgruppen vertreten und schauen genau, welche Qualifizierung Personal an den Sammelstellen haben muss.
Im Unterschied zu Privatpersonen: Geben kleine Gewerbebetriebe gefährliche Abfälle immerhin korrekt an den Sammelstellen ab?
Nein, die machen natürlich auch nicht alles richtig. Ein Beispiel, das ich miterlebt habe: Am Wertstoffhof fährt eine Frau vor, macht den Kofferraum auf und darin liegen verschiedene Laborflaschen mit giftigen Chemikalien – ungesichert. Wir haben dann gefragt: „Wo haben Sie das her?“ Die Frau entgegnete: „Das hat mir mein Chef mitgegeben. Der ist Apotheker.“ Wir fragten genauer nach: „Und Sie sind selbst Apothekerin?“ Sie: „Nein, ich bin dort Reinigungskraft über eine externe Dienstleistungsfirma.“ Wir: „Weiß denn Ihr Chef davon?“ Sie: „Nein.“
Indem der Apotheker giftige Stoffe an eine Person ohne Chemiekenntnisse, die nicht mal seine Mitarbeiterin ist, abgegeben hat – ganz zu Schweigen von der Transportsituation –, verstößt er gegen das Chemikaliengesetz, riskiert fünf Jahre Gefängnis und seine Lizenz.
Bedenklich ist: Apotheker kennen sich mit chemischen Substanzen und Gefahrstoffen von Berufswegen aus und wenn selbst solche Profis derartige Fehler begehen… Egal ob es Maler oder Lackierer sind, Fotolabore, Haushaltsauflöser oder andere Kleingewerbebetriebe – Sie erleben die kuriosesten Dinge an Wertstoffhöfen. Manche Leute liefern Sachen an, die sie gar nicht haben dürften, die zum Teil noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammen.
Das illustriert auch sehr gut, welche wichtige Aufgabe die Fachkräfte haben, die sie auch ausbilden. Teilen die Fachkräfte ihre Erfahrungswerte auch untereinander?
Wir haben einen Stammtisch für unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingerichtet. Es ist wirklich sehr wichtig, dass man sich untereinander austauscht.
Herr Jäger, was wünschen Sie sich zur Sicherung des Fachwissens auf Wertstoffhöfen für die Zukunft?
Mein Wunsch ist, dass wir weniger auf Formalien, sondern mehr auf das Wissen schauen. Frei nach dem Sprichwort: „Don’t tell me how you can‘t. Tell me how you can.“
Mein Wunsch ist auch, dass unsere Qualifizierungsmaßnahmen von anderen Berufen adaptiert werden. Nur so können wir dem Fachkräftemangel entgegentreten. Durch die aktuelle Transformation haben wir in vielen Berufen auch hohe Quereinsteiger-Quoten, wo Wissen erst aufgebaut werden muss.
Die Industrie- und Handelskammern und auch die Handwerkskammer sind Institutionen, die die Möglichkeiten haben, solche Qualifizierungen zu unterstützen – ohne andere Berufe zu verdrängen.