Frau Dr. Kummer, als studierte Chemikerin engagieren Sie sich seit vielen Jahren in der Umwelt- und Entsorgungsbranche. Schildern Sie uns bitte kurz die wichtigsten Stationen Ihrer beruflichen Laufbahn und die damit verbundenen Aufgaben.
Nach einer wissenschaftlichen Tätigkeit als Chemikerin an deutschen Universitäten und in der biochemischen Forschung am Brain-Research-Institute in Los Angeles habe ich beim bvse – Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung – sieben Jahre, zuletzt in der Geschäftsführung, gearbeitet. Begleitend dazu habe ich ein weiteres Hochschulstudium in Toxikologie und Umweltschutz absolviert. In der Zeit beim bvse habe ich viel Erfahrung sammeln können bei der Anwendung und Umsetzung von Abfall- und Umweltrecht, im Bereich Arbeitsschutz sowie über das Verständnis von behördlichen und politischen Abläufen. Meine Vertriebserfahrung konnte ich bei einer Unternehmensberatung in Osnabrück ausbauen, für die ich drei Jahre ebenfalls in der Geschäftsführung tätig war. Seit 2005 habe ich ein eigenes Unternehmen, die Kummer:Umweltkommunikation GmbH. Wir erarbeiten Gutachten in Spezialbereichen (z. B. REACH, Umsetzung von Umwelt- und Abfallrecht, Einstufung von Gefahrstoffen und gefährlichen Abfällen) und sind in der Weiterbildung von Führungskräften sowie in der Umweltkommunikation (Nachhaltigkeitsberichte, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbying) tätig.
Welcher Tätigkeit gehen Sie aktuell nach und was motiviert Sie?
Ich bin derzeit geschäftsführende Gesellschafterin und damit für Vertrieb, aber auch Projektmanagement zuständig. Ständig neue thematische Herausforderungen sind mein Antrieb. Die Umwelt- und Energiebranche ist sehr vielfältig, die Themen komplex. Unternehmen haben oft selbst nicht die Zeit, sich mit der gesamten Themenvielfalt auseinanderzusetzen, gerade das Fachwissen in Naturwissenschaften wird immer gefragter. Deshalb gibt es Kunden, die uns seit vielen Jahren aufgrund unseres Fachwissens und der Erfahrung schätzen. Motivationsprobleme kenne ich selbst nicht, mein Antrieb ist, die Erde ein klein wenig besser zu machen und unseren Kindern mit unserem Handeln ein Vorbild zu sein.
Dr. Beate Kummer
- Studium der Chemie und Toxikologie in Freiburg und Leipzig, Promotion in Biochemie
- Forschungstätigkeit an der University of California, Los Angeles (UCLA)
- Geschäftsführerin des bvse – Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V., Bonn
- Niederlassungsleiterin und Prokuristin der Haase & Naundorf Umweltconsulting GmbH, Osnabrück/Bad Honnef
- Geschäftsführende Gesellschafterin Kummer: Umweltkommunikation GmbH, Bad Honnef/Rheinbreitbach
- Lehrbeauftragte an Universitäten und Hochschulen
Wo sehen Sie die deutsche Abfallwirtschaft im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarländern? Wo liegen Fortschritte, wo gibt es Aufholbedarf?
Die deutsche Abfallwirtschaft hat technologisch sicher sehr viel zu bieten und steht im europäischen Vergleich immer noch ganz vorne. Viele Recyclingtechnologien, aber auch unsere Verbrennungstechniken sind weltweit ein Beispiel. Nicht umsonst besuchen uns viele Delegationen aus aller Welt, um anzuschauen, wie wir Abfälle behandeln. Besonders zu nennen sind sicher unsere (vollautomatischen) Sortiertechniken für Abfallarten wie Verpackungen und Glas, die Post-Shredder-Technik für Altfahrzeuge oder erste Aufbereitungstechniken für Lithium-Ionen-Zellen.
Nichtsdestotrotz verlieren wir etwas an Boden – weltweit gesehen. Die Sammelergebnisse, bspw. für Batterien, Elektroaltgeräte und Altfahrzeuge sind nicht zufriedenstellend. Sammelquoten unter 45 % müssen uns nachdenklich machen und sollten uns zu mehr Engagement auffordern. Gerade bei den hier genannten Abfallströmen handelt es sich um Wertstoffströme, die besonders hohe Anteile an kritischen Metallen enthalten. Werden zu wenig dieser Abfälle erfasst, gehen viel zu hohe Mengen verloren, teilweise durch illegalen Export. Hier muss dringend politisch und rechtlich nachjustiert werden.
Wie bewerten Sie die aktuelle Situation hinsichtlich des kreislaufwirtschaftlichen Gedankens? Wo besteht Verbesserungsbedarf in der deutschen Entsorgungsbranche?
Eine weitere Baustelle stellt sicher der zögerliche Erlass der Mantelverordnung* dar. Hier gäbe es eine enorme Chance, einen großen Teil unserer Abfälle – nämlich die Bau- und Abbruchabfälle – in geordnete Bahnen zu lenken. Dies muss allerdings mit Augenmaß geschehen und das Ziel, möglichst hohe Mengen an Recyclingbaustoffen zu erzeugen, darf nicht aus den Augen verloren werden.
Zudem bin ich der Meinung, dass der private Konsument mehr ins Blickfeld gerückt werden muss. Bei allen neuen (abfall-)rechtlichen Entscheidungen ist zu berücksichtigen, dass der „Letztbesitzer“ eines Abfalls über den Verbleib entscheidet. Um den Abfall in die richtigen Bahnen zu lenken, müssen wesentlich mehr positive Anreize geschaffen werden, dass Abfälle zurückgegeben, (stofflich) verwertet oder bestenfalls gar vermieden werden. Mit dem Pfand auf Einweggetränkeverpackungen haben wir gute Erfahrungen gemacht und ich bin überzeugt, nur über den Geldbeutel, d. h. finanzielle Anreize, erreichen wir ein neues Umweltverhalten.
Alternativ sind Verbote bzw. Sanktionierungen einzuführen, auch hierzu ein Beispiel: Falls die Bürger keine Bereitschaft zeigen, eine hohe Qualität an Bioabfällen getrennt bereitzustellen, müssen die Biotonne verteuert bzw. Strafen ausgesprochen werden. Auch beim privaten „Letztbesitzer“ darf es kein Tabu mehr geben, um das Ziel von mehr Ressourcenschonung zu erreichen.
* Anmerkung der Redaktion
Gemeint ist die Mantelverordnung zur Einführung einer Ersatzbaustoffverordnung, zur Neufassung der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung und zur Änderung der Deponieverordnung und der Gewerbeabfallverordnung. Zwei wichtige Ziele der Verordnung sind laut BMU „die im Sinne des § 6 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) bestmögliche Verwertung von mineralischen Abfällen zu gewährleisten sowie die Anforderungen an die nachhaltige Sicherung und Wiederherstellung der Funktionen des Bodens im Sinne des§ 1 des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) näher zu bestimmen bzw. an den gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse anzupassen.“
Wie bewerten Sie insbesondere den Umgang mit Gefahrstoffen in Deutschland, sowohl auf der Seite der Industrie als auch in Bezug auf politische Akteurinnen und Akteure?
Der Umgang mit Gefahrstoffen ist sehr detailliert in der EU geregelt. Hohe Anforderungen an den Arbeitsschutz und die Arbeitssicherheit machen es möglich, dass nur noch wenig Unfälle passieren oder berufsbedingte neue Krankheiten auftreten. Durch umfangreiche Stoffverbote, am bekanntesten ist sicher das Asbestverbot, wurde erreicht, dass Industriearbeitsplätze bei Beachtung der Vorschriften sicher gehandhabt werden können. Die REACH-Verordnung hat auch ein Stück weit dazu beigetragen, dass Produkte sicherer geworden sind.
Im privaten Umfeld sieht es naturgemäß anders aus, dort können Regelungen für Industriearbeitsplätze nicht angewendet werden. Aus meiner Sicht ist hier noch mehr Aufklärung notwendig, wie gefährlich der Umgang mit einigen Produkten sein kann. Insbesondere wenn es an die Entsorgung geht, muss mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, warum Getrennthaltung nicht nur zu mehr Ressourceneffizienz, sondern auch zu größerer Sicherheit führt. Lithium-Akkus, die heute nicht nur in E-Bikes oder E-Scootern, sondern auch in vielen Haushaltsgeräten vorkommen (z. B. Akkuschrauber, Staubsauger etc.), bergen Risiken für Mensch und Umwelt.
Welche Chancen vergibt die deutsche Abfallwirtschaft hinsichtlich des Recyclings von gefährlichen Abfällen?
In Deutschland werden große Mengen unserer gefährlichen Abfälle verbrannt. Es gibt noch ein deutliches Verbesserungspotenzial in Richtung mehr stofflicher Verwertung. Dies würde allerdings voraussetzen, dass schon an der Anfallstelle größere Mengen getrennt gehalten werden. Dies sieht das Abfallrecht auch vor. Schon an der Anfallstelle sollte eine weitgehende Getrennthaltung nach Abfallschlüsseln vorgesehen werden, dies wird jedoch in Spezialregelungen – siehe Altölverordnung, Altholzverordnung – zum Teil wieder aufgehoben.
Außerdem fehlt es an einem konsequenten Vollzug. Wir leiden seit Jahren darunter, dass hohe Mengen Altfahrzeuge und Elektro(nik)schrott als gefährlicher Abfall in Länder exportiert werden, bspw. Ghana, die keine hochwertigen Entsorgungsanlagen vorhalten. Dies sollten wir uns als hochentwickeltes Industrieland nicht länger leisten. Entwicklungshilfe könnte hier unterstützend tätig werden, wenn wir den Export nicht stoppen können. Der Rücktransport von manuell demontierten Geräten in die EU zu hochentwickelten Shredderanlagen und gleichzeitig aktive Schaffung von manuellen Demontagearbeitsplätzen in diesen afrikanischen Niedriglohnländern können Lösungen für diese Probleme sein.
Wo liegen rechtliche Widersprüche oder Hindernisse bei der Entsorgung und Verwertung gefährlicher Abfälle?
Hemmnisse sind eindeutig darin zu sehen, dass wir uns zu wenig um hohe Sammelquoten kümmern. Nur in ganz wenigen unserer EU-Vorgaben finden sich Sammelquoten (z. B. ElektroG). Wie sollen wir hohe Recyclingquoten erreichen – bezogen auf die in Verkehr gebrachte Menge – wenn wir keine oder viel zu geringe Sammelquoten haben? Ich will hier zwei Beispiele nennen: Zum einen bringen wir jährlich etwa 3-3,2 Mio. neuer Fahrzeuge in Verkehr. Davon werden allerdings nur 400.000-500.000 verwertet, im AltfahrzeugG gibt es allerdings auch keine Rücknahmequoten. Stattdessen wird jährlich jubiliert, dass wir so hohe Verwertungsquoten (>95 %) bei der Rückgewinnung von Fahrzeugen erreichen. Das ist dringend abzustellen.
Für Fahrzeug- und Industriebatterien sieht die Situation ähnlich aus: Hier kennen wir weder in Verkehr gebrachte noch die rückgenommenen Mengen! Lediglich für Gerätebatterien gibt es ein konsequentes Monitoring. Allerdings sind auch hier die existierenden Quoten erschreckend niedrig, nur 45 % sind pro Jahr einzusammeln. Es ist schwer nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber so zögerlich und zurückhaltend beim Erlass neuer Vorgaben ist. Gerade wurde der Entwurf eines neuen Batteriegesetzes vorgelegt, leider hat sich an der Quotensituation nichts verändert.
Die Abfallhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes steht im Sinne von Umwelt- und Ressourcenschonung. Wer oder was stellt die größten Herausforderungen für die Umsetzung dieses Credos dar?
Die Abfallhierarchie, die ja bereits in der Abfallrahmenrichtlinie zementiert ist, stellt ein hohes und richtiges Ziel dar. Aus meiner Sicht ist die größte Herausforderung – europaweit gesehen – endlich den Weg weg von der Deponie zu finden. Leider gibt es noch zu viele EU-Mitgliedstaaten, die hohe Mengen verwertbarer Abfälle deponieren (z. B. Malta, Kroatien) und damit dem Klimaschutz extrem schaden. Das liegt zum einen an fehlender Getrennthaltung und zum anderen an fehlenden Sortier- und Aufbereitungsanlagen. Gelöst werden kann dies nur durch finanzielle Anreize.
Im Zusammenhang mit Klima- und Ressourcenschutz wäre zu diskutieren, ob es gelingen könnte, ein branchenweites EU-Emissionshandelssystem einzuführen. Dies hätte den Charme, dass Unternehmen mit hohen Recyclingquoten und Einsparungen an CO₂ (z. B. die Rückgewinnung und das Einschmelzen von Aluminiumdosen spart fast 90 % der Energie im Vergleich zur Primärroute) Zertifikate verkaufen könnten an diejenigen Unternehmen, die klimabelastend deponieren oder Mischabfälle verbrennen (ohne Energierückgewinnung). Dies würde einen Schub hin zu mehr Vermeidung, stofflicher Verwertung und energetischer Verwertung mit Energierückgewinnung auslösen. Ein echter Schritt in Richtung mehr Klimaschutz und ganz im Trend unserer derzeitigen Diskussion um CO₂-Preise!
Vielen Dank für das Gespräch!