Was kann man sich unter der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW) vorstellen?
Die DGAW feiert in diesem Jahr ihr dreißigjähriges Bestehen und versteht sich als größtes Expertennetzwerk der Kreislaufwirtschaft. Wir sind unabhängiger und kompetenter Partner für Produzenten, Entsorger, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Ziel ist es, branchenunabhängig durch sachorientierte Informationen, Diskussionen und Stellungnahmen den Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen den Marktakteuren zu fördern oder zu schaffen.
Um Lösungen für die Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft zu finden, stellen wir gern das Know-how unseres Netzwerks im Dialog mit den Marktakteuren zur Verfügung, um gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln. Denn eine echte Kreislaufwirtschaft ist nur möglich, wenn alle zusammenarbeiten: vom Produktdesign über die Herstellung, den Handel, die Konsumenten und schließlich bis zum Recycling bzw. zur Verwertung.
Der neue Slogan der DGAW lautet „Ressourcen neu denken.“ Welche Aufgaben und Ziele verfolgt die DGAW?
Die DGAW sieht sich als Vordenker und Impulsgeber für die Branche. In vielen Bereichen haben wir frühzeitig auf Optimierungspotenzial hingewiesen und Lösungskonzepte aufgezeigt, bspw. bei den Recyclingquoten. Immer ambitioniertere Recyclingquoten auszurufen, die mit der vorhandenen Technik nicht zu erreichen sind, ergeben wenig Sinn. Vielmehr müssten verstärkt Märkte für Sekundärrohstoffe geschaffen und gefördert werden.
Leider verhindert die Abfallgesetzgebung oft, dass Stoffe, die zu Abfall geworden sind, auch wieder in den Produktkreislauf integriert werden können, z. B. als Rezyklate bzw. sogenannte Sekundärrohstoffe. Genau genommen ist eine Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrohstoff nicht sinnvoll. Beide sollten als wertvolle Ressourcen gesehen werden. Um den Markt für Rezyklate zu beleben, spricht sich die DGAW seit Jahren für die Einführung einer Substitutionsquote aus. Das wäre ein klares Um- bzw. Neudenken.
Wir greifen immer wieder auch unbequeme Themen auf und schauen dabei über den Tellerrand der reinen Abfallwirtschaft hinaus.
Welche Rolle nimmt die Organisation in der Abfallwirtschaft ein?
Die DGAW ist vor allem für ihre Unabhängigkeit bekannt. Wir bieten sachorientierte Informationen, Diskussionen und Stellungnahmen, die unabhängig von Branchen weit über die Beschäftigung mit reinen Abfall- und Recyclingfragen hinausgehen. Unsere Veranstaltungen und Arbeitskreise regen zum Meinungsaustausch unterschiedlicher Sachthemen an, um die eigene Position zu reflektieren.
In der Abfallbranche ist die DGAW seit langem Ansprechpartner für Industrie und Politik. Unsere Stärke liegt in der sachlichen konsensualen Meinungsbildung. Wir streiten nicht für Einzelinteressen, sondern wirken verantwortungsbewusst für die Zukunft der Abfallbranche. Deshalb werden wir auch als „die Stimme der Vernunft“ wahrgenommen.
Was bietet die DGAW ihren Mitgliedern und Akteuren der Branche?
Die DGAW ist in erster Linie eine Plattform für interdisziplinäre Zusammenarbeit mit offenem Erfahrungsaustausch. In (über-)regionalen Fachveranstaltungen und Arbeitskreisen bekommen unsere Mitglieder die Möglichkeit, sich mit einer Vielfalt an Themen aus der Branche zu beschäftigen und sich mit Kooperationspartnern und Entscheidern, auch aus anderen wichtigen Organisationen der Kreislaufwirtschaft, auszutauschen. Informationen zu marktrelevanten Ereignissen und Entwicklungen kommen aus erster Hand. So nehmen unsere Mitglieder aktiv am aktuellen abfallwirtschaftlichen Diskurs teil.
Seit einigen Jahren engagiert sich die DGAW zudem international. Mit dem Jahr 2017 wurden wir „Gold Member“ der International Solid Waste Association (ISWA) und seit 2020 gehören wir auch der PREVENT Abfall-Allianz an. Darüber hinaus findet ein enger Austausch mit der RETech Germany (German Recycling Technologies and Waste Management Partnership e. V.) statt. Unser Beauftragter für Internationales koordiniert und organisiert dieses Netzwerk.
Zur Wissenschaft pflegt die DGAW ebenfalls sehr enge Kontakte und veranstaltet ein Mal jährlich den DGAW-Wissenschaftskongress mit über 100 Teilnehmern. In Anbetracht der Corona-Pandemie fand die Veranstaltung in diesem Jahr online statt. Für Studierende und Vertreter aus Wissenschaft und Forschung bieten wir mit dem DGAW-Wissenschaftskongress eine Plattform, um aktuelle Forschungsergebnisse in die Wirtschaft zu transferieren.
Thomas Obermeier
- Dipl.-Ing. für technischen Umweltschutz
- Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW)
- Leiter Business Development, EEW Energy from Waste GmbH, Berlin
- öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Abfallwirtschaft und Ausschussmitglied der IHK Berlin
- Mitglied im Fachbeirat der IFAT
Werfen wir einen Blick auf die deutsche Abfallwirtschaft: Wo stehen wir in Deutschland im internationalen Vergleich in Sachen Kreislaufwirtschaft, Recycling und Sekundärrohstoffgewinnung?
Deutschland ist nicht nur Recycling-Weltmeister, sondern gilt auch als Vorreiter in Sachen Kreislaufwirtschaft und Getrenntsammlung. In der EU führt Deutschland die Tabelle mit einer Recyclingquote von 67 % bei Siedlungsabfällen an. Dem steht jedoch gegenüber, dass die Berechnungsmethode der Quoten die deutschen Ergebnisse begünstigt. 2020 soll durch eine Vereinheitlichung der Methode schließlich eine höhere Vergleichbarkeit mit den anderen EU-Staaten hergestellt werden. Experten gehen davon aus, dass die Quote für Deutschland dann auf etwa 52 % sinken wird. Mit diesem Ergebnis lägen wir dann nur noch knapp über dem europäischen Durchschnitt.
Im internationalen Vergleich ist und bleibt die deutsche Abfallwirtschaft sicher ein Vorbild, vor allem bezüglich der Sammlungs- und Erfassungssysteme. Das sogenannte Littering* ist auch in Deutschland ein Problem, jedoch in wesentlich geringerem Umfang. Gerade in den südostasiatischen Ländern würde der Aufbau von Erfassungssystemen einen großen Beitrag zur Elimination des „Marine Littering“ (Meeresverschmutzung) leisten.
* Werden Abfälle im öffentlichen Raum weggeworfen und nicht über die dafür vorgesehenen Papierkörbe oder Abfallbehälter entsorgt, so ist von „Littering“ die Rede. (Anm. der Redaktion)
Welchen abfallwirtschaftlichen Herausforderungen müssen wir uns als Konsumgesellschaft im Hinblick auf den Klimawandel in den nächsten Jahren oder gar Jahrzehnten stellen?
Wir müssen von einer linearen Abfallwirtschaft hin zu einer echten Circular Economy kommen – und das muss von Anfang bis Ende der Wertschöpfungskette gelingen. D. h., zuerst müssen Abfälle vermieden werden, z. B. durch nachhaltigeren Konsum, langlebigere und reparaturfreundliche Produkte sowie Mehrweg- oder Sharing-Angebote. Wenn Produkte dann zu Abfall geworden sind, muss die Wiederverwendung oder das Recycling an oberster Stelle stehen. Der Einsatz von Sekundärrohstoffen spart immer CO₂ ein. Hier muss aber noch eine breitere Akzeptanz geschaffen werden. Alleine über den Preis ist der Einsatz, speziell von Kunststoffrezyklaten, kaum vermittelbar. Beim Konsum sind alle gefragt: die Konsumenten, die Hersteller und die Politik. Nur gemeinsam wird es gelingen, Konsum nachhaltiger zu gestalten.
Ein weiterer Punkt ist das Ende der Deponierung. Dass die EU die Deponierung bis 2035 – und in Einzelfällen sogar bis 2040 – zulässt, hat die DGAW scharf kritisiert. Deutschland ist hier Vorreiter, da seit 2005 die Deponierung unbehandelter Abfälle verboten ist. Mit diesem Verbot und weitreichendem Recycling trug die deutsche Abfallwirtschaft seit 1992 zur Reduktion der gesamten Treibhausgasemissionen von ca. 38 Mio. t CO₂-Äquivalenten bei.
EU-weit werden im Mittel noch rund ein Viertel aller Abfälle deponiert. 28 % der Siedlungsabfälle werden durchschnittlich thermisch verwertet und 47 % recycelt. Blickt man aber auf den Rest der Welt, liegen die Deponierungsquoten zum Teil weit darüber, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Einem Bericht der International Solid Waste Association (ISWA) zufolge sind Deponien die drittgrößte Quelle für globales anthropogenes Methan, ein Treibhausgas, das 25-mal so stark ist wie CO₂. Eine Beispielrechnung demonstriert die Auswirkungen: Würde man in drei Städten, z. B. Brasília, Wien und Tel Aviv, die Deponien schließen, so betrügen die kollektiven Einsparungen dieser drei Städte bis 2050 etwa 4.250.000 t CO₂-Äquivalente. Das ist eine klare Botschaft!
Die öffentliche Diskussion in der Abfallwirtschaft fokussiert sich stark auf Hausmüll und Verpackungsabfälle. Welche Rolle spielen überwachungsbedürftige Abfälle in Deutschland und wie steht die DGAW dazu?
In Deutschland fallen derzeit knapp 24 Mio. t an gefährlichen Abfällen an. Je nach Szenario werden bis 2030 etwa 32 bis 37 Mio. t erwartet. Die Entsorgungsstruktur ist entweder knapp, wie bspw. bei Deponien der DK III und Untertage-Deponien, oder veraltet, wie z. B. bei Sonderabfallverbrennungsanlagen. Deutschland ist noch immer ein Nettoimportland für gefährliche Abfälle, da die Entsorgungsstruktur in unseren Nachbarländern noch schlechter ist als bei uns. Die DGAW setzt sich dafür ein, dass die Recycling- und Verwertungsmöglichkeiten auch für diese Abfallstoffe konsequenter genutzt werden. Zudem wollen wir, dass die Verbringung von gefährlichen Abfällen – oft unter dem Deckmantel der Verwertung – wie z. B. teerhaltigem Straßenaufbruch auf Deponien, beendet wird. Hierfür stehen bereits Recyclingtechnologien zur Verfügung, über die wir in Veranstaltungen und Workshops informieren.
Was wünschen Sie sich seitens der Politik für die Abfallwirtschaft in Deutschland?
Die DGAW wünscht sich eine Gleichstellung von Primär- und Sekundärrohstoffen und damit eine Vereinfachung des Abfallrechts bzw. des Abfallendebegriffs. Zudem wäre die Einführung von Substitutionsquoten ein enormer Fortschritt, denn eine Unterscheidung in Primär- und Sekundärrohstoff ist wenig sinnvoll, da es sich um gleichwertige, wichtige Stoffe handelt. Auch ein Ende der Deponierung für grundsätzlich verwertbare Abfallstoffe außerhalb dieser Entsorgung ist für die Zukunft der Abfallwirtschaft wünschenswert. Des Weiteren sollte das Prinzip der Abfallvermeidung noch mehr Beachtung finden: eine engere Zusammenarbeit zwischen Produzenten, Konsumenten und Verwertern muss bereits beim Produktdesign beginnen. Zu guter Letzt gibt es noch immer Bereiche in der Abfallstoffverwertung für die es derzeit keine sinnvolle Verwertungsmethode gibt, so z. B. für Shredderleichtfraktionen oder Carbonfaserabfälle. Auch hier existieren noch nicht ausgeschöpfte Potenziale.
Vielen Dank für das Gespräch!