Hajo Busch, Sachverständiger, Autor und Gefahrgutbeauftragter (Foto: Privat) (Foto: privat)
Mit mehr als 50 Jahren Erfahrung ist Hajo Busch eine Koriphäe des Gefahrgutrechts
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Gefahrgutrecht auf dem Prüfstand Hajo Busch über die Notwendigkeit von Gefahrgutverordnungen

Ausgelaufenes Düngemittel, umgekippte LKW oder Explosionen und Brände auf Autobahnen – nahezu täglich berichten Medien über Unfälle beim Gefahrguttransport. Dass die Risiken für die Beförderung gefährlicher Güter nicht zu unterschätzen sind, weiß Gefahrgut-Experte Hajo Busch. Seit über 50 Jahren beschäftigt er sich mit den geltenden rechtlichen Verordnungen und den Herausforderungen für die Branche.

Das Spektrum der Verordnungen für den Transport gefährlicher Güter ist äußerst heterogen. Herr Busch, können Sie uns einen kurzen Überblick über die wichtigsten (nationalen) Regelungen geben?

Auf Grundlage des Gefahrgutbeförderungsgesetzes (GGBefG) sind in Deutschland die folgenden Rechtsverordnungen erlassen worden:

  • Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt (GGVSEB)
  • Gefahrgutverordnung See (GGVSee)
  • Gefahrgutbeauftragtenverordnung (GbV)
  • Gefahrgutausnahmeverordnung (GGAV)
  • Gefahrgutkostenverordnung (GGKostV)
  • Gefahrgutkontrollverordnung (GGKontrollV)
  • Ortsbewegliche Druckgeräte Verordnung (ODV)

Diese Vorschriften sind beim Transport gefährlicher Güter auf der Straße, mit der Eisenbahn und mit Binnen- und Seeschiffen zu beachten. Hinzu kommen insbesondere zur GGVSEB und zur GGVSee Richtlinien (z. B. RSEB), die mit den Bundesländern abgestimmte Hinweise zur Anwendung der genannten Vorschriften enthalten.

Für den Transport gefährlicher Güter mit Luftfahrzeugen enthalten das Luftverkehrsgesetz (LuftVG), die Luft-Verkehrs-Zulassungs-Ordnung (LuftVZO) und die Luftverkehrs-Verordnung (LuftVO) allgemeine Vorschriften. In der Bekanntmachung „Beförderung gefährlicher Güter im Luftverkehr und die Anforderungen an die Schulung der betroffenen Personen“ sind spezifische Vorschriften für diesen Verkehrsträger enthalten. Hinzu kommt der von den Luftverkehrsgesellschaften weltweit anerkannte Leitfaden „IATA-Gefahrgutvorschriften“, 60. Ausgabe in deutscher Sprache.

Diese nationalen Rechtsvorschriften und Bekanntmachungen nehmen für die verschiedenen Verkehrsträger die folgenden internationalen Regelwerke in Bezug: ADR für die Straße, RID für die Eisenbahn, ADN für die Binnenschifffahrt, IMDG-Code für die Seeschifffahrt und ICAO-TI für die Luftfahrt. Diese sind damit für innerstaatliche und internationale Transporte zu beachten.

Hinzu kommen Richtlinien der EU insbesondere 2008/68/EG, 2010/35/EG und 95/50/EG, die für Transporte gefährlicher Güter im Gemeinschaftsbereich die vorstehend genannten internationalen Regelwerke zur Anwendung vorschreiben.

Zusammengefasst heißt das, dass die Beteiligten der Beförderung gefährlicher Güter, und unter Berücksichtigung aller Verkehrsträger, 10 nationale Rechtsvorschriften zu beachten haben!

Warum sind Regelwerke für den Transport gefährlicher Güter überhaupt notwendig?

Bei der Beförderung gefährlicher Güter können sich Unfälle ereignen, die veranlasst durch die spezifischen Gefahreneigenschaften der gefährlicher Güter, zu erheblichen Gefährdungen für Leib und Leben von Menschen und insbesondere auch für Gegenstände und die Umwelt führen können (vgl. dazu auch § 2 Abs. 1 des GGBefG).

Einige besonders schwere Unfälle machen das Schutzziel deutlich:

  • 1969 in Hannover Linden: Explosion eines Eisenbahngüterwagens mit Munition (12 Tote und 38 Verletzte), Sachschaden in Millionenhöhe
  • 1978 Los Alfaques bei Tarragona: Explosion eines mit Propylen beladenen Tankfahrzeuges auf einem Campingplatz (über 200 Tote und ca. 200 schwerverletzte Personen), vollständige Zerstörung des Campingplatzes
  • 1987 Herborn: Explosion eines mit Benzin beladenen Tankfahrzeuges in der Ortsmitte (6 Tote und mehr als 40 verletzte Personen), 12 Häuser werden vollständig zerstört
  • 2011 auf dem Rhein in der Nähe der Loreley: ein mit Schwefelsäure beladenes Binnenschiff kentert und der Inhalt läuft teilweise aus (2 Tote und einige Verletzte), der Rhein wird mehr als 30 Tage für den gesamten Schiffsverkehr gesperrt, mehrere Millionen Euro Folgeschaden
  • 2012 MSC Flaminia: Brand und Explosion mehrerer Container mit Divinylbenzol (2 Tote, ein Vermisster, mehr als 8 verletzte Besatzungsmitglieder), erheblicher Sachschaden am Vollcontainerschiff
  • 2019 Containerverlust der MS Zoe: Das Schiff verliert durch hohen Wellengang mehr als 300 Container vor der niederländisch-deutschen Küste. Nahezu 100 Container enthalten gefährlicher Güter. Noch immer sind nicht alle Container wieder aufgefunden worden.

Die Folgen derartiger Unfälle können, wenn überhaupt (eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht), nur durch sachgerechte Anforderungen in den Rechtsvorschriften für den Transport gefährlicher Güter gemindert werden.

Warum widmen Sie sich diesem Thema so intensiv und wie sind Sie zum Experten für Gefahrgut geworden?

Ich habe den Begriff „gefährliche Güter“ erstmalig bei Beginn meiner beruflichen Tätigkeit bei der Bundesbahndirektion Wuppertal im Jahr 1963 gehört und mich danach mit der Anlage C zur EVO rund 3 Jahre lang beschäftigt. Die Thematik hat mich aufgrund der Vielzahl der berührten Sachgebiete, insbesondere aus der Chemie und Technik, besonders interessiert, da dies im Zusammenhang mit den Rechtsfragen ein sehr interessanter Bereich für mich war. Mit dem Wechsel 1967 in das damalige Bundesverkehrsministerium Bonn eröffneten sich für mich in diesem Tätigkeitsbereich auch international Tätigkeitsfelder, von denen ich nicht mehr loskam. Erst in den siebziger Jahren habe ich dann miterlebt, dass im Ministerium für den Bereich „Transport gefährlicher Güter“ ein besonderes Referat gegründet worden ist, in dem ich in den letzten Jahren meiner aktiven Tätigkeit der stellvertretende Referatsleiter war.

Hajo Busch

  •  befasst sich seit 1963 mit den Rechtsvorschriften für den Transport gefährlicher Güter und war ab 1967 im damaligen Bundesministerium für Verkehr in Bonn tätig.
  • Seit September 2000 arbeitet er als Sachverständiger, Fachbuchautor, Fachjournalist und Gefahrgutbeauftragter.
  • Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene beschäftigt er sich seit über 50 Jahren mit diesem Rechtsbereich
  • aktuelle Publikationen: „Lexikon Gefahrgut // Gefahrgutwissen von A bis Z“ (2019) und eine Sonderausgabe „Gefahrgut für die Praxis 2019/2020“ mit dem Titel „Schulung, Unterweisung, Ausbildung im Gefahrgutrecht – Eine Bestandsaufnahme mit Anregungen“

Sie waren mehrfach an der Entwicklung wichtiger Verordnungen für den Transport gefährlicher Güter beteiligt. Welche sind die größten Herausforderungen bei der Entwicklung solcher Regelwerke?

Ich habe an allen unter Frage eins genannten Rechtsvorschriften mitgearbeitet und diese zum Teil auch selbst (z. B. die GbV) in jahrelangen Gesprächen und Sitzungen mit den involvierten Behörden, Verbänden der Wirtschaft, Vertretern aus der Wissenschaft und insbesondere mit den Sachverständigen des Gefahrgut-Verkehrs-Beirates abgestimmt. Dazu kamen Verhandlungen bei verschiedenen internationalen Organisationen.

Es geht immer darum, die Schwelle für Anforderungen unter besonderer Berücksichtigung wirtschaftlicher Auswirkungen und der Interessen der Betroffenen auszuloten. Das hat zur Folge, dass z. B. die Abstimmung mit den Betroffenen zum Inkrafttreten der GbV fast 3 Jahre gedauert hat. Für die internationale Akzeptanz sind in der Regel bis zur Umsetzung ebenfalls Zeiträume von mehreren Jahren einzuplanen.

Womit sehen sich Gefahrgutbeauftragte im Arbeitsalltag häufig konfrontiert oder vielleicht sogar überfordert?

Die Gefahrgutbeauftragten in den beim Transport gefährlicher Güter beteiligten Unternehmen treffen gewöhnlich eine große Anzahl von Mitarbeitern an, die im Sinne des Gefahrgutrechts als besonders beauftragte Personen oder sonstige verantwortliche Personen bei der Abwicklung (Vorbereitung) der Transporte gefährlicher Güter beteiligt sind. Sie bringen vollkommen unterschiedliche Voraussetzungen für diese Tätigkeit mit. Hinzu kommen neuerdings Probleme der sprachlichen Verständigung.

Ich habe mich seit Inkrafttreten der GbV bei verschiedenen IHK mehrmals der vorgeschriebenen Erst- und Wiederholungsprüfung mit Erfolg unterzogen und bin seit 2007 für einen internationalen Logistikkonzern als Gefahrgutbeauftragter tätig. Ich habe als Gefahrgutbeauftragter sicherzustellen, dass hier mehr als 60 Mitarbeiter ständig so unterwiesen werden, dass sie den Transport gefährlicher Güter in alle Länder der Welt, jeweils unter Berücksichtigung der geltenden Vorschriften, organisieren können. Aufgrund meiner Vergangenheit, insbesondere aber auch aufgrund meiner auch heute noch ständig andauernden Tätigkeit als Sachverständiger für das Gefahrguttransportrecht, fällt es mir nicht schwer, die Mitarbeiter jeweils über das geltende Recht zu informieren.

Ich biete dazu im Unternehmen jährlich jeweils vier Schulungen mit einer Präsentation an. Jeweils am Ende müssen alle Teilnehmenden einen Test bearbeiten und diesen mindestens einmal im Jahr bestehen. Nach meiner Kenntnis fehlt es zahlreichen Gefahrgutbeauftragten an Selbstbewusstsein, um eine derartige Forderung durchzusetzen, insbesondere dann, wenn Sie nicht ad personam, sondern als Mitarbeiter einer größeren Organisation (wie z. B. TÜV oder DEKRA) als Gefahrgutbeauftragter tätig sind.

Wie werden Gefahrgutbeauftragte ausgebildet und erhalten sie ausreichend fachliche und rechtliche Beratung in ihren Positionen? / Wo können sich Gefahrgutbeauftragte im Falle eines Problems zuverlässig informieren?

Die Ausbildung der Gefahrgutbeauftragten ist aus meiner Sicht nicht bei allen Unternehmen, die dazu von den IHK anerkannt sind, ausreichend. Die der Ausbildung zu Grunde liegenden Schulungsanforderungen der Kammern werden m. E. nicht in jedem Fall von den anerkannten Schulungsunternehmen so umgesetzt, dass man davon ausgehen kann, ein Gefahrgutbeauftragter erhält eine ausreichend sachgerechte Ausbildung.

Der umfangreiche Katalog mit Prüfungsfragen ist dagegen sachkundig formuliert und weist auch den erforderlichen Schwierigkeitsgrad auf. Da die einzelnen Kammern die Fragen für die einzelne Prüfung zusammenstellen, muss auch der Sachbearbeiter spezifische Kenntnisse über das Gefahrguttransportrecht haben. Leider ist das bei der Vielzahl der in Betracht kommenden Kammern nicht immer gewährleistet.

Ich habe meine Erkenntnisse insbesondere daher, dass ich werdende Gefahrgutbeauftragte einzeln auf die Prüfung vorbereite und selbst mehr als zehn Mal eine derartige Prüfung absolviert habe. Aufgrund meiner Erfahrungen habe ich entschieden, meine diesjährige Sonderausgabe dieser Thematik zu widmen. Die von mir ausgesuchten zehn Autorinnen und Autoren stellen sicher, dass sich hier für alle Beteiligten Anregungen ergeben.

Ein Gefahrgutbeauftragter hat aus meiner Sicht in erster Linie bei den nach Landesrecht zuständigen Behörden die Möglichkeit, sich zu Sachfragen zu informieren. Die Bundesländer sind für die Durchführung der Gefahrgutrechtsvorschriften zuständig. Die Namen und Anschriften der zuständigen Behörden können in den einzelnen Bundesländern immer der geltenden RSEB (vgl. Frage 1) entnommen werden.

Darüber hinaus gibt es inzwischen zahlreiche Unternehmen, die im Internet oder auch persönlich Fragen zum Gefahrguttransportrecht beantworten. Hinzu kommen die in Hamburg, Köln und München erscheinenden Fachzeitschriften, die auch über ihre Newsletter Rechtshinweise geben. Im Vordergrund sollte aus meiner Sicht jedoch immer das von einem Gefahrgutbeauftragten selbst erworbene Wissen stehen, das die in seiner Tätigkeitsregion gültigen Rechtsvorschriften berücksichtigt.

Welche speziellen Anforderungen ergeben sich im Besonderen beim Transport gefährlicher Abfälle und welche Richtlinien gibt es hierfür?

Spezielle Anforderungen für den Transport gefährlicher Güter, die gleichzeitig Abfälle sind, gibt es abgesehen von Einzelerlassen in den Gefahrguttransportvorschriften nicht. Der Transport findet normalerweise vor der Beseitigung des Abfalls statt. Überschneidungen sind insofern, abgesehen von der zusätzlichen Kennzeichnung mit „A“ auf weißer Tafel, nicht vorhanden. Für bestimmte gefährliche Güter, die gleichzeitig Abfälle sind und beseitigt werden sollen, z. B. Krankenhausabfälle oder radioaktive Abfälle, gibt es darüber hinaus auch zusätzliche Anforderungen an die Einschließung. Bei radioaktiven Abfällen ist zudem das Atomrecht zu berücksichtigen.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Anm. der Redaktion // Übersicht zu den verwendeten Abkürzungen

  • GGBefG – Gefahrgutbeförderungsgesetzes
  • GGVSEB – Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt
  • GGVSee – Gefahrgutverordnung See
  • GbV – Gefahrgutbeauftragtenverordnung
  • GGAV – Gefahrgutausnahmeverordnung
  • GGKostV – Gefahrgutkostenverordnung
  • GGKontrollV – Gefahrgutkontrollverordnung
  • ODV – Ortsbewegliche Druckgeräte Verordnung
  • RSEB – Richtlinien zur Durchführung der Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt
  • LuftVG – Luftverkehrsgesetz
  • LuftVZO – Luft-Verkehrs-Zulassungs-Ordnung
  • LuftVO – Luftverkehrs-Verordnung
  • IATA – International Air Transport Association
  • ADR – Accord européen relatif au transport international des marchandises Dangereuses par Route
  • RID – Règlement concernant le transport international ferroviaire de marchandises dangereuses
  • ADN – Accord européen relatif au transport international des marchandises dangereuses par voies de navigation intérieure
  • IMDG-Code – International Maritime Code for Dangerous Goods
  • ICAO – International Civil Aviation Organization
  • EVO – Eisenbahn-Verkehrsordnung / Vorschriften für den Transport gefährlicher Güter mit der Eisenbahn
Alle Angaben ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit