Seit 2008 Präsident des BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaf: Peter Kurth (Foto: BDE)
Seit 2008 Präsident des BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaf: Peter Kurth
Foto: BDE

Deponieverbot, Recycling und energetische Verwertung Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie als Chance für Deutschland, wieder Vorreiter in Europa zu werden

850 Unternehmen vertritt der BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft. Mit Präsident Peter Kurth an der Spitze agiert der Verband als Mittler zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Auf nationaler und europäischer Ebene. Wir haben mit ihm über notwendige Schritte gesprochen, die den Wandel von der Linear- zur Kreislaufwirtschaft in ganz Europa voranbringen. Neue Produktpolitik, Deponieverbot, mehr Recycling, Akzeptanz für die energetische Verwertung und Potenziale gefährlicher Abfälle sind einige Schlaglichter des Gesprächs.

Sehr geehrter Herr Kurth, vor etwa einem Jahr hat sich der BDE in Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft umbenannt. Damit wollten Sie sich auch Unternehmen öffnen, die sich mit ihren Geschäftsmodellen der zirkulären Wirtschaft verschrieben haben. Inwiefern spiegelt sich die Umbenennung in den BDE-Mitgliedsunternehmen wider?

Der neue Name spiegelt sich ganz überzeugend in unseren Mitgliedsunternehmen wider. Die Entsorgungswirtschaft ist ein unverzichtbarer Teil einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Das heißt, die Aufgabe der Entsorgungsunternehmen wird mehr und mehr darin zu sehen sein, dass sie aus Abfällen bestmögliche Mengen und Qualitäten an Rohstoffen generieren, damit diese in der Produktion wieder eingesetzt werden können. Das ist die Aufgabe von Entsorgung in der Kreislaufwirtschaft. Das hat das frühere Aufgabenfeld, wo es mehr um die problemlose Beseitigung von Abfällen ging, komplett geändert.

Entsorgungsunternehmen bilden die wahrscheinlich wichtigste Stufe der Rohstoffversorgung. Noch nicht quantitativ, aber sicher qualitativ, weil die von uns der Wirtschaft zur Verfügung gestellten Rohstoffe eben mit besonders wenig Energieaufwand und Emissionsproblemen einzusetzen sind. Wenn Sie einen Aluminiumgegenstand aus Aluminiumschrott herstellen, dann brauchen Sie nur 4 % der Energie, die Sie brauchen, wenn Sie denselben Gegenstand aus Bauxit herstellen, dem Primärrohstoff Aluminium. Entsprechend gering ist die Emissionsbelastung der Umwelt.

Je mehr Rohstoffe wir aus Abfällen gewinnen, desto eher haben wir die Chance, Wirtschaftsstandort zu bleiben und trotzdem ambitionierte Klimaziele zu erreichen. Das haben auch die Unternehmen verstanden. Das Interesse am Schließen von Stoffkreisläufen ist auch in der produzierenden Wirtschaft heute sehr weit verbreitet und nimmt weiter zu. Das heißt, auch die Unternehmen wollen ihren Teil zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft beitragen, indem sie Rezyklate einsetzen, aber auch recyclingfreundlicher produzieren, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Es bilden sich mehr und mehr Unternehmen, die genau das Schließen eines Stoffkreislaufes als wesentliche Geschäfts- und Unternehmensidee haben. Unsere Wirtschaft befindet sich in einer Transformation von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft. Und das sehen wir auch bei unseren aktuell rund 850 Mitgliedern, unter denen sich inzwischen auch viele produzierende Unternehmen befinden.

Der BDE hat als einziger Verband der deutschen Entsorgungswirtschaft eine eigene Vertretung in Brüssel und pflegt Kontakte zu den verschiedenen Gremien. Können Sie uns einen Einblick in Ihre Arbeit in Brüssel geben?

Der Green Deal, also der Weg Europas zur Klimaneutralität, hat als wichtigsten Bestandteil den Aktionsplan Kreislaufwirtschaft. Der bedeutendste Teil dieses Aktionsplans wiederum ist eine neue Produktpolitik, weil klar geworden ist: In dem Moment, in dem ein Produkt designt und entworfen wird, wird darüber entschieden, ob Recycling eine Chance hat. Wenn Sie eine Kunststoffverpackung mit sieben oder acht verschiedenen Schichten verkleben, wie das häufig bei Verpackungen auch der Fall ist, dann findet hier kein Recycling mehr statt, weil Sie diese Materialien wirtschaftlich und qualitativ nicht vernünftig wieder trennen können. Die produzierende Industrie hat natürlich das klare Interesse, keinerlei Qualitätseinbußen zu haben – sie braucht makellose Reinheit. Das ist bei Verklebung und vermischten Materialien schwierig.

In Europa ist die Arbeit eine andere als in Berlin. Wir haben dort nicht das klassische Verhältnis Regierung und Opposition. Die Europäische Kommission ist von allen Parteien getragen, weil sie aus den Mitgliedsstaaten bestückt ist. Und es gibt auch im Europäischen Parlament kein festgefügtes Mehrheitssystem. Das heißt, die Arbeit mit den einzelnen Abgeordneten, mit den Ausschüssen, mit den Berichterstatterinnen und Berichterstattern zu den einzelnen Verordnungen, Richtlinien und Entwürfen ist eine andere, eine intensivere Arbeit als das in Berlin der Fall ist.

Hinzu kommt die Abstimmung mit den anderen Mitgliedsstaaten, den Entsorgungsverbänden aus anderen Mitgliedsstaaten. Deswegen gibt es die FEAD (Anmerkung der Redaktion: Europäischer Dachverband der Entsorgungswirtschaft). Hier erarbeiten wir als Branche gemeinsame Botschaften. Denn wenn aus 27 EU-Mitgliedsstaaten zu viele verschiedene Botschaften zu einer bestimmten Thematik kommen, dann erschwert das die Umsetzung. In der FEAD wird die Interessenvertretung gebündelt.

Zur Person: Peter Kurth

  • seit 2008 Präsident des BDE
    Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V.
  • davor war der 63-jährige Jurist u. a. Finanzsenator in Berlin und Mitglied im Vorstand des Berliner Entsorgers ALBA
  • in seiner Freizeit bewirtschaftet er einen Bauernhof im Oderbruch

Mit dem Aktionsplan Kreislaufwirtschaft hat die Europäische Kommission vor drei Jahren ihren Fahrplan vorgelegt, wie sie in den nächsten Jahren weniger Abfälle, mehr Recycling und den Schutz unserer Ressourcen erreichen möchte. Was hat sich seitdem in Deutschland in Sachen Kreislaufwirtschaft bewegt und wo steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?

Deutschland war mal das Vorreiterland für Kreislaufwirtschaft in Europa. Wir sind heute noch relativ gut, weil wir auf bestimmte gesetzgeberische Entscheidungen zurückgreifen können, die in der Vergangenheit getroffen worden sind. Ein Beispiel: Wir haben uns bereits vor etlichen Jahren für ein Ende der Deponierung unbehandelter Siedlungsabfälle eingesetzt. Wenn Sie heute in Ihrer Wohnung Abfall produzieren, dann wird dieser Abfall entweder stofflich verwertet (Recycling) oder thermisch verwertet und dient der Energieproduktion. Beide Verfahren sind in Ordnung. Wir favorisieren Recycling, wo immer möglich, aber wir haben auch Material, insbesondere bei gemischten Siedlungsabfällen, das vernünftigerweise nicht recycelt werden kann. Dafür brauchen wir einen Behandlungsweg und der ist die Thermik.

Die meisten Länder in Europa haben das nicht, nutzen immer noch Deponien. Es gibt nicht wenige Länder, die deponieren immer noch die Mehrzahl ihrer Abfälle. Und das ist in mehrfacher Hinsicht ein großes Problem. Erstens sind Mülldeponien eine Methangas-Schleuder besonderen Ausmaßes. Zweitens: Solange es billige Deponien gibt, fehlt der wirtschaftliche Rahmen, um in vernünftige Infrastruktur, Recycling oder thermische Behandlung zu investieren. Insofern fehlt damit der wirtschaftliche Background, um eine vernünftige Kreislaufwirtschaft zu etablieren.

Von daher kann man sagen, dass die Bundesrepublik Deutschland im europäischen Maßstab immer noch – erst recht weltweit – ganz gut dasteht. Aber dass sie der Vorreiter ist, wie noch vor einigen Jahren oder Jahrzehnten, das ist nicht mehr so. Vorreiter ist ganz eindeutig die Europäische Union geworden. Die Kommission gibt den Takt vor. Sie hat 2017 den ersten Vorschlag für Mindesteinsatzquoten für bestimmte Produkte gemacht und gesagt: Wir erwarten als Gesellschaft, dass ein bestimmter Prozentsatz der eingesetzten Rohstoffe aus einem Recyclingprozess stammt. Das ist von uns immer wieder gefordert worden und als erstes auf europäischer Ebene verwirklicht worden – jetzt mit der Batterieverordnung ein weiteres Mal. Vielleicht ist die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie, die 2024 beschlossen werden soll, eine Chance für Deutschland, an der Vorreiterrolle wieder anzuknüpfen. Das würden wir uns wünschen.

Die jetzige Regierungskoalition hat einen Koalitionsvertrag geschlossen, worin steht, dass man das Deponieverbot auf europäischer Ebene anstrebt. Leider bleibt es bei dieser Festlegung im Papier. Praktisch passiert in Brüssel überhaupt nichts dafür, was bedauerlich ist.

Warum passiert da nichts?

Das müssten Sie das Umweltministerium fragen. Ich stelle nur das Ergebnis fest: Es wird hier nicht gekämpft. Natürlich wird das keine ganz leichte Schlacht. Frankreich, Italien, Polen, Spanien sind große Länder mit hohen Deponierungsquoten. Man muss sich dafür wirklich einsetzen und „reinknien“. Wie gesagt, das findet derzeit nicht statt, was ich bedauere.

Was wäre aus Ihrer Sicht nötig, um das Thema anzuschieben?

Um in Europa eine Regelung hinzubekommen, brauchen Sie die Kommission, das Parlament und den Rat. Im Parlament, glaube ich, hätten wir eine Mehrheit für das Deponieverbot. Die Kommission schwankt da noch ein bisschen und die Einschätzungen sind unterschiedlich. Es braucht jemanden in Brüssel, der oder die das zu seinem Thema macht und sich von gelegentlichen Rückschlägen nicht beeindrucken lässt, nach Verbündeten sucht und sich einsetzt. Diese Rolle würden wir gern von der deutschen Regierung wahrgenommen sehen.

Die Abfallbeseitigung auf Deponien wird relevant, wenn wir an einige schadstoffbelastete Abfälle denken. Kommt die Kreislaufwirtschaft zukünftig überhaupt ohne Deponien aus?

Im Moment werden Deponien für bestimmte Abfälle noch gebraucht. Es gibt aber viele Verbesserungsmöglichkeiten. Bei der Verwertung mineralischer Abfälle sehe ich noch mehr Potenzial. Man kann diese auch als Dämmmaterial, als Füllmaterial, hoffentlich verstärkt auch bei Bauvorhaben einsetzen. Das sind alles Verwertungsvorgänge, die sinnvoller wären als die Beseitigung.

Wir müssen auch im Blick behalten, dass wir mit Deponien im Regelfall auch Verkehrsbelastungen haben. Die mineralischen Abfälle werden oftmals über die Autobahnen transportiert. Das ist ein Problem.

Die Abfallhierarchie sagt: Bitte verwertet so viel wie möglich. Stofflich, dann auch thermisch. Es macht bei bestimmten Abfällen schon Sinn, zu beseitigen. Aber die Beseitigung ist die letzte Stufe in der Hierarchie und so sollten wir sie auch begreifen.

Auch gefährliche Abfälle haben Recyclingpotenzial, wenn die erforderlichen Stofftrennungen vorgenommen werden (Separierung der Gefahrstoffe). Farben und Lacke werden beispielsweise aufbereitet, auch Lösemittel oder Altöl. Ein Potenzial, das unterschätzt wird, wie wir immer wieder hören. Welchen Stellenwert hat das Thema für Sie?

Der BDE ist der Partner des Gesamtverbandes Schadstoffsanierung e. V. Das heißt, wir haben einen doppelten Zugang. Als BDE beschäftigen wir uns damit, weil unsere Unternehmen Sonderabfallentsorgung durchführen. Als Partner des Gesamtverbandes tun wir dies auch.

Natürlich ist das ein Thema, wo die Infrastruktur in Deutschland, mit der Qualität und der Zuverlässigkeit, die wir haben, besonders wichtig ist. Hier steht Sicherheit an erster Stelle. Da können wir nur ganz bestimmte Behandlungswege wählen. Wo immer möglich, sollten wir versuchen, den wirtschaftlichen Wert der Materialien zu halten.

Auch wenn gefährliche Abfälle mit insgesamt gut 20 Millionen Tonnen nicht den überragenden Abfallstrom darstellen, sind sie ein wichtiges Thema für uns.

Der BDE vertritt die Auffassung: Eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft kommt ohne energetische Verwertung nicht aus, denn nicht alle Abfälle sind hochwertig recycelbar. Durch energetische Verwertung kann das Energiepotenzial solcher Abfälle für die Energieerzeugung genutzt, fossile Energieträger teilweise ersetzt und klimaschädliche CO2-Emissionen eingespart werden. Doch die Thermik verliert in Brüssel an Akzeptanz. Wie kann das gedreht werden?

Bei einigen gibt es das Missverständnis, dass wir alles das, was wir verbrennen, besser recyceln sollten. Aber was ist in den Ländern, die weder eine Recycling-Infrastruktur noch eine thermische Infrastruktur haben? Da haben wir Deponien mit all den Folgen für die Umwelt, die wir genannt hatten, für die Emissionen etc. Das heißt, thermische Anlagen werden unverzichtbar bleiben, auch in Deutschland, es sei denn, es gelingt ihnen, alles zu 100 % zu recyceln. Das ist, mit Verlaub, nicht realistisch. Wenn Sie die Qualität gemischter Abfälle zum Teil sehen: Da ist Recycling nicht mehr möglich, weil kein Mensch die aus diesem tatsächlich Müll gewonnenen Rohstoffe als gleichwertig akzeptieren würde. Wir haben heute eine Situation mit gut 70 thermischen Anlagen mit einer Kapazität von etwa 24 Millionen Tonnen, die es einfach braucht.

Herr Kurth, Sie sind bereits seit 15 Jahren an der Spitze des BDE. Im Sommer 2024 tritt Thüringens frühere Umweltministerin Anja Siegesmund Ihre Nachfolge an. Welches Erbe hinterlassen Sie Ihrer Nachfolgerin? Was kommt auf die Branche zu und welche Themen gilt es anzugehen?

In der Tat hatte ich 15, fast 16 Jahre das große Glück, in einer der spannendsten Branchen zu arbeiten, die absolut unverzichtbar sein wird, wenn es darum geht, den Wirtschaftsstandort zu halten und trotzdem Klimaziele zu erreichen – das ist eine besondere Herausforderung.

Unsere Unternehmen haben sich in ihrer Aufstellung, in ihrer Struktur, in ihrer Geschäftsidee massiv geändert. Früher waren das Logistikunternehmen, die Abfälle von A nach B gebracht haben. Heute sind es die wichtigsten Partner bei der Sicherung der Rohstoffversorgung. Von daher ist die Branche in Bewegung. Es sind die Unternehmen in Bewegung, der Verband in Bewegung. Er hat sich umbenannt. Er hat vor fünf Jahren ein neues Haus bezogen in Berlin. Er ist Partner der wichtigsten Messe in München, der IFAT. Der BDE ist also heute in einer ganz guten Situation. Ich freue mich, ihn so übergeben zu können und bin sicher, dass meine Nachfolgerin viele Ideen hat, wie man diese Entwicklung fortsetzt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Quellen

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