Grundlegende Vorgaben des KrWG
Dass in Zeiten der Kreislaufwirtschaft Abfall nicht einfach Abfall ist, weiß inzwischen auch jeder Laie. Komplexer – und das gilt auch für professionelle Unternehmen, nicht zuletzt die der Abfallwirtschaft – wird die Materie allerdings bei der Frage, ab wann Abfall keiner mehr ist. Das heißt, ab wann er seine Abfalleigenschaften, etwa im Zuge eines technologischen Prozesses verliert und gegebenenfalls zum Produkt wird, das wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden kann. Was definiert also die Grenze zwischen Abfall und Produkt? Und wie variiert das ggf. und im Detail bei den vielen verschiedenen Stoffen und Gegenständen, die in der Abfallwirtschaft anfallen?
Grundlegendes liefert hierzu erst einmal § 5 Absatz 1 KrWG: „Die Abfalleigenschaft eines Stoffes oder Gegenstandes endet, wenn dieser ein Recycling oder ein anderes Verwertungsverfahren durchlaufen hat und so beschaffen ist, dass
- er üblicherweise für bestimmte Zwecke verwendet wird,
- ein Markt für ihn oder eine Nachfrage nach ihm besteht,
- er alle für seine jeweilige Zweckbestimmung geltenden technischen Anforderungen sowie alle Rechtsvorschriften und anwendbaren Normen für Erzeugnisse erfüllt sowie
- seine Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt führt.“
Soweit der Gesetzeswortlaut, der in praktischer Konsequenz dann erst einmal eines nach sich zieht: Dass nämlich in dem Moment, in dem diese vier Punkte auf einen Stoff/Gegenstand zutreffen, für diesen folgerichtig auch alle abfallbezogenen Gesetzesvorgaben (abfallrechtliche Dokumentationspflicht, Überwachungs- und Anordnungsbefugnisse, abfallrechtliche behördliche Genehmigungen, abfallgerechte Lagerung usw.) obsolet werden. Stattdessen treten wieder dezidiert Vorgaben des europäischen Produkt-, Chemikalien- (REACH) und Gefahrstoffrechts in Kraft.
Wichtig zu beachten ist hier: „Abfälle sind prinzipiell von REACH ausgenommen. Da jedoch mit dem Recycling von Materialien ein neuer Stoff-Lebenszyklus beginnt, tragen Recycler die gesamten REACH-Pflichten eines Stoffherstellers. Die REACH-Verordnung enthält allerdings eine Privilegierung für Recycling-„Produkte“ und sieht vor, dass diese unter bestimmten definierten Voraussetzungen von einem Teil der REACH-Pflichten ausgenommen werden“, heißt es in „REACH in der Praxis“ vom Umweltbundesamt.
Konkretisierungen in EU-Richtlinien
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass mit Blick auf die Spezifik einzelner Stoff- und Materialströme, die allgemeinen Vorgaben aus § 5 Absatz 1 KrWG notwendigerweise entsprechenden Konkretisierungen unterzogen wurden bzw. noch unterzogen werden müssen.
So ist schon seit Oktober 2011 eine europäische Verordnung zum „Ende der Abfalleigenschaft für Eisen- und Stahlschrotte sowie Aluminiumschrotte“ (EU-Ratsverordnung Nummer 333/2011) in Kraft. Die Verordnung ist exemplarisch in der Art, wie detailliert aufgefächert sie ihre Kriterien des „Abfallendes“ festlegt. Das Spektrum umfasst dabei technologische Belange wie auch solche des Qualitätsmanagements, reicht von Behandlungsverfahren und -techniken für zugeführten Eisen- und Stahlschott bis hin zu gesonderten Vorgaben für den Umgang mit Aluminium.
Ähnliche Verordnungen existieren auch bezüglich der Abfalleigenschaften / Produktweiterbehandlung von Kupferschrott (EU-Verordnung Nummer 715/2013) und Bruchglas (EU-Verordnung Nummer 1179/2012). Gleichwohl ist anzumerken, dass adäquate Richtlinien für andere Stoff- und Materialströme noch ausstehen. Das trifft etwa für Reifen, Sekundärbaustoffe, Kompost oder Textilien zu. Seitens der EU sind entsprechende Regelungen in Planung.
Kein Ende der Abfalleigenschaft ist bis auf Weiteres hingegen bei Ersatzbrennstoffen, Teigresten aus der Nahrungsmittelindustrie, Aschen und Schlacken mit schadstoffbezogenen Einsatzbeschränkungen oder auch im Falle von nichtreinem Glycerin aus der Biodieselherstellung zu erwarten. Hier greifen schlicht die Vorgaben § 5 Absatz 1 KrWG entweder nur zu partiell bzw. gar nicht.
Grenzverläufe zwischen Abfall, Produkt und Nebenprodukt
Was im Kontext von Produktionsprozessen „Abfall“ ist und was nicht, erklärt sich zum einen ja erst einmal ganz praktisch durch die Zielsetzung des jeweiligen Produktionsprozesses. Und definiert sich zum anderen gesetzlich durch die EU-Abfallrahmenrichtlinie. Abfall ist nach dieser jeder „Stoff oder Gegenstand, dessen sich sein Besitzer entledigt, entledigen will oder entledigen muss“ (Artikel 3, Richtlinie 2008/98/EG).
Unter den Maßgaben des KrWG ist in der Abfallrahmenrichtlinie dazu weiterführend vermerkt, dass ein Abfall, der einer Behandlung im Sinne einer „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ unterzogen wird, seine Abfalleigenschaft verliert, sobald der Prozess des Verwertungsverfahrens zu einem positiven Ergebnis geführt ist. Das heißt, erst mit erfolgreichem Abschluss dieser „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ ist das Ende der Abfalleigenschaft erreicht. Um es am einfachen Beispiel festzumachen: Das einst defekte, als Abfall entsorgte Elektrogerät ist repariert, positiv auf seine Funktionstüchtigkeit geprüft, hat somit seinen Abfallstatus verloren und kann als Produkt in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden.
Was auch den Unterschied zu einem weiteren wichtigen Begriffsparameter illustriert: Nämlich dem des „Nebenproduktes“ (respektive Nebenerzeugnis oder „sekundärer Rohstoff“). Und wieder den Kreis zu den Produktionsprozessen schließt: Denn an solche ist ein Nebenprodukt per Definition gebunden, auch wenn es, wie der Begriff ahnen lässt, nicht dessen Hauptziel ist. § 4 KrWG fixiert das wie folgt: „Fällt ein Stoff oder Gegenstand bei einem Herstellungsverfahren an, dessen hautsächlicher Zweck nicht auf die Herstellung dieses Stoffes oder Gegenstandes gerichtet ist, ist er als Nebenprodukt und nicht als Abfall anzusehen, wenn
- sichergestellt ist, dass der Stoff oder Gegenstand weiter verwendet wird,
- eine weitere, über ein normales industrielles Verfahren hinausgehende Vorbehandlung hierfür nicht erforderlich ist,
- der Stoff oder Gegenstand als integraler Bestandteil eines Herstellungsprozesses erzeugt wird und
- die weitere Verwendung rechtmäßig ist; dies ist der Fall, wenn der Stoff oder Gegenstand alle für seine jeweilige Verwendung anzuwendenden Produkt-, Umwelt- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllt und insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt führt.“
Bezieht nun ein Unternehmen von vornherein diese vier Punkte in seine Produktionskalkulation ein und lässt neben seiner eigentlichen Produktionsausrichtung gezielt Stoffe oder Gegenstände zur weiteren Verwertung und Vermarktung entstehen, kann man bezüglich dieser unbenommen von Neben- oder auch Koppelprodukten sprechen. In dem Fall ist hier eine verbindliche Basis vorhanden, auch weil das Unternehmen gewährleisten muss, dass diese Produkte den gesetzlichen Qualitätsvorgaben entsprechen (Produkt-, Chemikalien- und Gefahrstoffrecht).
Doch wie ist das, wenn ein Stoff unabhängig von den Intentionen eines Unternehmens, auf Grund unveränderlicher physikalisch-chemischer Gegebenheiten im Produktionsprozess entsteht? Oder auch die Qualität dieser Stoffe derart variiert (etwa, weil schon die Qualität der Ausgangsstoffe im Produktionsprozess variieren kann), dass eine kontinuierlich eindeutige Festlegung „Abfall oder Nebenprodukt“ schwierig wird? Oder nur von Fall zu Fall und mit großen Mehraufwand realisierbar ist?
Hier gibt es durchaus eine „Grauzone“, die zugleich auf eine generelles Problem verweist: Dass nämlich die Entlassung von Sekundärrohstoffen aus dem Abfallregime zu sehr am Tropf behördlicher Einzelentscheidungen und somit an entsprechend bürokratischen Verfahren hängt.
Die Grauzone der Auslegungsfragen und die Systematisierung von Entscheidungsprozessen
Sicher: Bei der Frage „Abfall oder nicht?“ kann eine zu kulante Abfalldefinition zu Umweltschäden führen, während im Gegenteil dazu eine zu weite Auslegung für Unternehmen zu einem maßgeblichen Kostenmehraufwand bzw. zu einer Verringerung und damit Vergeudung all jenen Materials führen kann, das eigentlich in den Wirtschaftskreislauf rückgeführt werden sollte. Sorgfalt ist hier das A und O.
Was auch für die Abfallwirtschaft von maßgeblicher Relevanz ist. Es ist dabei erst einmal völlig nebensächlich, ob sich hier Unternehmen etwa auf die (Rück-)Gewinnung marktfähiger Rohstoffe für die industrielle Fertigung oder die Herstellung von Düngemitteln aus behandelten Abfällen festlegen – prinzipiell ist zu beachten, dass die Rückführung eines aufbereiteten Produkts in den Wirtschaftskreislauf immer davon abhängt, dass die Abfalleigenschaft des Produktes den rechtlichen Vorgaben gemäß geendet hat. Das ist – wie oben aufgeführt – oft klar verifizierbar, kann aber eben auch in den Bereich der „Grauzone“ fallen.
So unterlag ein Entsorger-Unternehmen, das aus Dämmwolle gewonnene Mineralfasern als Porosierungsmittel für Ziegelwerke auf den Markt bringen wollte, in einem langwierigen Rechtsstreit den behördlichen Genehmigungsinstanzen. Trotz technologischer Weiterbehandlung der Dämmwolle, sei das daraus gewonnene Material gesundheitsgefährdend und deshalb weiterhin als Abfall einzustufen (Gerichtsbeschluss Az. 2 B 1860/12).
Ein exemplarisches Beispiel, das aber verstehen lässt, warum seitens der Abfallwirtschaft seit Längerem auf mehr und umfänglichere Verbindlichkeit und Transparenz beharrt wird: Es ist bis heute zu oft allein behördlichen Instanzen vorbehalten, in Zweifel- und Einzelfällen und sowieso nach kosten- und zeitaufwendigen Prüfungen zu entscheiden, wann ein Sekundärrohstoff kein Abfall zur Verwertung mehr, sondern ein Produkt ist. Eine Systematisierung und Vereinfachung, was nicht weniger heißt als eine Entbürokratisierung der Verfahrensabläufe plus verbindlicher Rechtssicherheit, ist hier dringend geboten.
Einen Weg dazu zeigte schon 2007 eine „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament“ auf. Unter der thematischen Setzung „Auslegungsfragen betreffend Abfall und Nebenprodukte“ empfahl die Kommission „Leitlinien zur Schaffung von Rechtssicherheit“. Ein probates Mittel hin zur Flexibilisierung und Systematisierung von Entscheidungsprozessen und raus aus der Grauzone starrer Bürokratie: „Im Rahmen der vom EuGH festgelegten rechtsverbindlichen Kriterien bilden Leitlinien dagegen ein flexibles Instrument, das sich an neue Erkenntnisse und Technologien anpassen lässt.“
Quellen
- Bundesamt der Justiz: Kreislaufwirtschaftsgesetz – KrWG
- Amtsblatt der Europäischen Union: VERORDNUNG (EU) Nr. 333/2011 DES RATES vom 31. März 2011 mit Kriterien zur Festlegung, wann bestimmte Arten von Schrott gemäß der Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates nicht mehr als Abfall anzusehen sind
- Bundesministeriu für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz: Verordnungen zum Ende der Abfalleigenschaft
- Weka: Ende der Abfalleigenschaft – § 5 KrWG
- Rainer Cosson: Vom Abfall zum Produkt – Am Beispiel des Stahl- und Aluminiumrecyclings
- Kanzlei Hentschelmann: Abfälle als verkehrsfähige Produkte?
- Wirtschaftskammer Oberösterreich Mechatroniker: Verordnung über das Abfallende von Eisen-, Stahl- und Aluminiumschrott
- Mag. Elisabeth Moser-Marzi: Die Abgrenzung von Nebenprodukt und Abfall in der Industrie
- Sabine Hennings: Ende der Abfalleigenschaft, Der Weg vom Abfall zum Produkt
- Umweltbundesamt: REACH in der Praxis
- Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zur Mitteilung zu Auslegungsfragen betreffend Abfall und Nebenprodukte