Ausbaufähig: Der Einsatz von Rezyklaten in der deutschen Industrie (Foto: malp (AdobeStock))
Ausbaufähig: Der Einsatz von Rezyklaten in der deutschen Industrie
Foto: malp (AdobeStock)

Einsatz von Recyclingrohstoffen in der Industrie Zwischen alten Gewohnheiten und neuen Möglichkeiten: Rezyklate, Sonderabfall und der Rohstoffbedarf der Industrie

Ihre Herstellung ist technologisch effizient, sie sind kreislaufwirtschaftlich sinnvoll – und helfen, den Rohstoffbedarf der Industrie zu decken. Und doch werden Rezyklate in Produktionsprozessen immer noch zu wenig genutzt. Sonderabfallwissen schaut auf eine Diskrepanz, die aus guten Gründen überwunden werden muss.

  • Zum gegenwärtigen Zeitpunkt deckt die deutsche Industrie ihren Rohstoffbedarf zu nur ca. 14 Prozent mit Rezyklaten ab.
  • Vom Sicherheitsdatenblatt bis zur Gefährdungsbeurteilung: Vorgaben für die Handhabe gefährlicher Abfälle existieren aus guten Gründen. Gegen eine umfänglichere Nutzbarmachung von Sonderabfällen für die industrielle Verwertung spricht das indes nicht. Im Gegenteil.
  • Strenge Qualitätsstandards, ein hohes Know-how bei der Aufbereitung plus neue innovative Technologien: Wenn Recyclingstoffe eines nicht haben, dann sind es Qualitätsprobleme. Das gilt maßgeblich auch für Sonderabfälle.
  • Von der Auto- über die Chemieindustrie bis zum Bausektor: Neue Recycling-Technologien sind für verschiedenste Branchen nutzbar und werden Unternehmen seitens spezialisierter Entsorger zur Verfügung gestellt.
  • Der Anteil an Rezyklaten bei der industriellen Verwertung muss steigen. Aus Gründen der Nachhaltigkeit und der Wirtschaftlichkeit.

Eine Diskrepanz und die Fragen, die sie aufwirft

Zum momentanen Zeitpunkt werden in Deutschland Produkte zu gut 85 Prozent aus Primärrohstoffen hergestellt. Was im Umkehrschluss heißt, dass die deutsche Industrie ihren Rohstoffbedarf zu lediglich ca. 14 Prozent aus recycelten Materialien generiert. Im Kontext der Transformation von der Linear- zur Kreislaufwirtschaft, mithin von Klima- und Rohstoffkrise, ein ökologisches und ökonomisches Unding.

Die Fragen, die sich stellen: Woher rührt diese Schieflage, diese Diskrepanz bei der Nutzung von Primär- und Recyclingrohstoffen? Sind es schlicht alte Gewohnheiten? Ist es das „Image“ von Sekundärrohstoffen, die gegenüber Primärrohstoffen als zu qualitativ minderwertig empfunden werden? Sind es die Rahmenbedingungen (politisch, wirtschaftlich, strukturell) und die bürokratischen Hürden, an diesen etwas zu ändern? Und: In welchem besonderen Maße trifft all das auf die gefährlichen Abfälle zu?

Strenge Qualitätsstandards und technisches Know-how

Was nun den Ruf von Recyclingrohstoffen, von Rezyklaten, angeht, ist Aufklärungsarbeit fraglos nach wie vor notwendig, auch wenn sich in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung schon einiges zum Positiven geändert hat. Zu wiederholen ist trotzdem immer wieder: Wenn Recyclingstoffe eines nicht haben, dann sind es Qualitätsprobleme.

In Deutschland legen professionelle Recycling- und Entsorgungsunternehmen nicht nur strengste Kriterien bezüglich der Umwelt- und Qualitätsstandards an, sondern verfügen auch über das technologische Know-how, diese Standards bei der Herstellung von Recyclingrohstoffen zu erfüllen. Diese können je nach Materialstrom in gleichbleibender Qualität hergestellt und mitunter mehrfach wiederverendet werden. Gerade bei Metallen (Eisen, Aluminium, Kupfer), aber auch Naturprodukten (organische Stoffe) und Wasser ist dabei oft ein Niveau gegeben, ob dem es schlicht irreführend ist, von einer Zweit- und damit ja Minderverwertung der Stoffe zu sprechen.

Hinzu kommt, dass dieses technologische Know-how bei entsprechend professionalisierten Unternehmen auch bei gefährlichen Abfällen (Sonderabfällen) greift. Also dort, wo nach häufiger, herkömmlicher Meinung immer noch kein Recycling möglich scheint. Nur ist eben auch hier zu wiederholen: Erstens ist es möglich. Zweitens im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft notwendig, wenn nicht unabdingbar. Und bietet – drittens – praktikable Wege, die entscheidend mithelfen (oder helfen könnten), den Energie- und Rohstoffbedarf der Industrie zu decken.

Bevor darauf gleich mit konkreten Beispielen näher einzugehen ist, sei hier erst noch einmal auf die gesetzlichen Vorgaben verwiesen, die für Unternehmen beim Umgang mit Sonderabfall wichtig sind.

Sicherheitsdatenblatt und Gefährdungsbeurteilung

Unter dem Begriff „Gefährlicher Abfall“ subsumieren alle Abfälle, die nach gesetzlich festgelegten Kriterien Gefährlichkeitsmerkmale für Mensch und Umwelt aufweisen. Maßgebend für die Einstufung ist das Europäische Abfallverzeichnis (EAV), das in Deutschland mit der Abfallverzeichnisordnung (AVV) in deutsches Recht überführt wurde.

Relevant für Unternehmen bei der Ermittlung stoffspezifischer Eigenschaften von Gefahrenstoffen ist zudem das sogenannte Sicherheitsdatenblatt. Dieses ist „dazu bestimmt, dem berufsmäßigen Verwender die beim Umgang mit Stoffen und Zubereitungen notwendigen Daten und Umgangsempfehlungen zu vermitteln, um die für den Gesundheitsschutz, die Sicherheit am Arbeitsplatz und den Schutz der Umwelt erforderlichen Maßnahmen treffen zu können.“ (BfGA, Beratungsgesellschaft für Arbeits- und Gesundheitsschutz mbH). Achtung: Ein solches Sicherheitsdatenblatt wird losgelöst von der betrieblichen Situation erstellt – das heißt, es ersetzt nicht die detaillierte Gefährdungsbeurteilung vor Ort.

Diese Gefährdungsbeurteilung wiederum hat sich nach den Technischen Regeln Gefahrstoffe (TRGS, konkret TRGS 520) auszurichten. Die TRGS 520 gilt für die Errichtung und den Betrieb von stationären oder mobilen Sammelstellen und Zwischenlagern für gefährliche Abfälle und listet alle damit verbundenen Aspekte (Eigenschaften und Wirkungsweisen der Abfälle, Rechtsvorschriften und berufsgenossenschaftlichen Regelungen, Bestimmungen für kleinere Abfallmengen usw.).

Alte Gewohnheiten und technische Innovationen: Die Bewertung des Gefahrenpotenzials von Sonderabfällen

Es ist unbenommen, dass all diese Vorgaben für die Handhabe gefährlicher Abfälle aus guten Gründen existieren. Und in Betracht zu ziehen ist, dass die seitens der Industrie vergleichsweise geringfügige Nutzung dieser Abfälle als Rohstofflieferant sich eben auch diesem Gefahrenpotenzial schuldet. Doch liegt genau hier ein entscheidender Punkt: Muss man doch, um zu den obigen Ausgangsfragen zurück zukommen, festhalten, dass die Bewertung dieses Gefahrenpotenzials in Teilen tatsächlich „alten Gewohnheiten“ entspricht. Oder anders gesagt: An modernen, innovativen technischen Möglichkeiten vorbeigeht.

Es gibt hinreichend Gründe für ein Umdenken bei der Bewertung (und das meint folgerichtig bei der Verwertung) von gefährlichen Abfällen. Dafür plädierte im Gespräch mit Sonderabfallwissen jüngst auch Dr. Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse e.V.). Probst, ausgewiesener Experte für Verwertungsstrategien beim Umgang mit schadstoffbelasteten Abfällen, verweist dabei zum einen darauf, dass das Gefahrenpotenzial eines Großteils einschlägiger Sonderabfälle relativ gering ist (Probst: „zwischen 0,005 % und 0,2 % – in Ausnahmefällen im einstelligen Prozentbereich“). Und dass – zum anderen – in Deutschland längst mannigfaltige technologische Möglichkeiten existieren, Gefahrenstoffe zu lösen oder zu wandeln, sprich: die Gefahrenpotenziale stark zu verringern oder gänzlich zu eliminieren.

Das gilt für Ölabfälle aus Raffinerien, Altöl aus dem Kfz.-Bereich, Öllagern oder Tankreinigungen, ebenso wie für Farben und Lacke. Das gilt für Batterien und Akkumulatoren, gilt für Kühlflüssigkeit, industrielle Reinigungsmittel und industrielle Abwässer. Die Aufzählung lässt sich fortsetzen. Technologische Prozesse sind also für verschiedenste Branchen nutzbar, sind für die Autoindustrie so relevant wie für die Chemieindustrie, den Bergbau und den Bausektor. Und können diesen Unternehmen seitens spezialisierter Entsorger zur Verfügung gestellt werden.

Exemplarische Beispiele

Die VacuDry-Technologie separiert in Sonder- und Industrieabfällen, in kontaminierten Böden, in Ölschlamm oder Sekundärrohstoffen die darin enthaltenen wertvollen Mineralien von gefährlichen Anteilen/Stoffen (Öl, Quecksilber, Lösungsmittel usw.). Durch die effiziente Abspaltung und Behandlung der toxischen Substanzen, etwa aus Bauschutt, kann dieser wieder als Rohstoffressource genutzt werden. Hinzukommt, dass die auf Vakuum- und Wärmeprozesse basierende Technologie nur geringe Emissionen und Stromverbrauch verursacht und in mobilen Einheiten vor Ort – z. B. eben direkt beim Bauunternehmen – durchgeführt werden können.

Durch verschiedene Destillationsverfahren (atmosphärische Destillation, Vakuumdestillation, Retifikation) lassen sich aus verunreinigten wieder hochwertige Lösemittel herstellen. Für die Farben- und Lackindustrie wie auch den Groß- und Fachhandel sind diese Formen des Lösemittelrecyclings samt der Rückführung in den stofflichen und damit wirtschaftlichen Kreislauf durchaus auch unter ökonomischen Aspekten sinnvoll. Der ökologische Nachhaltigkeits-Mehrwert liegt auf der Hand.

Es ist eines der gefährlichsten Schwermetalle überhaupt: Quecksilber. Und doch lassen sich selbst mit großen Mengen Quecksilber kontaminierte Abfälle (Erden, Schlämme, Aktivkohle, Katalysatoren) wieder aufbereiten und in den Wirtschaftskreislauf zurückführen. Möglich macht das die Drehrohrdestillation, bei der durch die Erwärmung in einem Drehrohr das Quecksilber verdampft, also in die Gasphase überführt und somit vom Abfall getrennt wird. Später wird das derart separierte Quecksilber zu Quecksilbersulfid stabilisiert – und somit in einen „entgifteten“, ergo harmlosen Stoff verwandelt.

Iod-Gewinnung aus Rauchgasen: Iod ist ein Spurenelement, das in der Natur nur vergleichsweise selten vorkommt – und für Menschen lebensnotwendig ist. Dass Iod jetzt ausgerechnet aus Rauchgasen der Sonderabfallverbrennung gewonnen werden kann, illustriert vielleicht am markantesten, was es bedeutet, wenn man das Prinzip „Kreislaufwirtschaft“ und Nachhaltigkeit konsequent denkt – und anwendet. Was dann, wie aktuell eine neue Anlage in Brunsbüttel zeigt, auch noch energiearm, emissions- und abwasserfrei geht.

„Man muss die enthaltenen Wertstoffe sehen wollen“

„Auch in Sonderabfällen stecken Ressourcen, die es zu heben gilt.“ So brachte es ein vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) initiiertes Forum zum Thema Sonderabfallentsorgung auf den Punkt, bei einem Branchentreffen mit Vertretern von Recyclingunternehmen, Sonderabfallgesellschaften, Deponiebetreibern sowie zuständigen Behörden. Im März 2015 war das.

Nun wäre es Unsinn zu sagen, dass seither nichts geschehen ist. Dass aber noch nicht genug geschehen ist, bei der Hebung dieser Ressourcen, ist unstrittig. Die oben angeführten Zahlen zeigen, wie stark die Diskrepanz zwischen Primär- und Recyclingrohstoffen bei ihrer Verwendung durch die Industrie klafft. Und das vor allem auch bei der Nutzung von Sonderabfällen. Noch einmal Dr. Probst: „Man muss die enthaltenen Wertstoffe sehen wollen. Viele Menschen achten bei gefährlichen Abfällen immer nur auf das Gefahrstoff-Potenzial.“

Was ist also zu tun? Erst einmal und weiterhin: Aufklären, informieren, Bewusstseinsarbeit leisten. Und das verstärkt auch darüber, was technologisch (schon) alles möglich ist, welche Zukunfts-Innovationen hier seitens der Entsorgungs- und Recyclingbranche geschaffen wurden und noch werden: „Das meiste, was ich sehe“, konstatiert Probst, „kommt aus der Abfallentsorgung selbst. Da ist ein richtig tolles Wissen, vor allem ein Ingenieurwissen vorhanden.“

Die technologische Basis, besagte Diskrepanz zu verringern, ist also gegeben bzw. im kontinuierlichen Entstehen – denn natürlich gibt es auch hier noch viele Herausforderungen zu meistern. Aber klar ist auch: Die Abfallbranche alleine kann eine weitreichendere Änderung bei der Nutzung von Sekundärrohstoffen nicht bewirken.

Nun reicht – so wichtig sie ist – Bewusstseinsarbeit allein nicht aus. Der Weg zu einer wirklich umfänglich sinnführenden Nutzung von Rezyklaten, bedarf einer gesetzlich konkretisierten Flankierung.

Denn wenn auch schon ein umfängliches Geflecht kreislaufwirtschaftlicher Vorgaben existiert, bleibt festzuhalten, dass an vor allem einer entscheidenden, da dezidiert praxisrelevanten Stelle, Optimierungsbedarf herrscht: Nämlich bei der wichtigen Frage, ab wann genau ein Abfallstoff seine Abfalleigenschaften (etwa im Zuge eines technologischen Prozesses) wieder verliert und somit wieder in einen reinen Produktstatus überführt werden kann. Hier fehlt es immer noch an klaren gesetzlichen Definitionen, das heißt, an Rechtssicherheit gebenden Qualitätsparametern dafür, wo und wie praxisnah sinnführend die Grenzziehung zwischen Abfall und Produkt (oder auch Nebenprodukt) zu erfolgen hat (siehe dazu: Abfall, Produkt, Nebenprodukt – Sonderabfallwissen).

Des Weiteren müssen Industrieunternehmen in weit zielführenderem Maße verpflichtet werden, bei der Herstellung von Produkten einen bestimmten Anteil von Recyclingstoffen einzusetzen. Das ist umso sinnvoller, da im wirtschaftlichen Gesamtblick erkennbar ist, dass eine Rohstoffaufbereitung, Rückgewinnung und folglich Neuverwertung von Sonderabfällen eben nicht zwangsläufig teurer als deren Beseitigung sein muss.

Von Aspekten der Nachhaltigkeit nicht zu sprechen. Um auch das abschließend mit einer Zahl zu illustrieren: Insgesamt würde eine Verdopplung, also ein Anstieg auf rund 30 Prozent der industriellen Neu- oder Weiternutzung von Rezyklaten, zu einer CO2-Einsparung von bis zu 60 Millionen Tonnen führen.

Quellen

Alle Angaben ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit